Wir sind Deutschland, wir sind Papst. Wir sind Eurovision-Song-Contest-Sieger! Zumindest ein Jahr lang, bis zur nächsten Ausrichtung im Mai im eigenen Land. Mit der bewährten Sängerin, die so aufwendig und, zugegebener Maßen mit Erfolg belohnt, in einer historischen Kooperation zwischen privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern gecastet wurde.
Was hier jetzt vielleicht schon sarkastisch klingt, ist keinesfalls respektlos gemeint, im Gegenteil. Mit Kooperation, Casting und Lenas Sieg beim ESC hat Stefan Raab wohl sein bisheriges Meisterstück abgeliefert. Um so unverständlicher fand ich es zum Zeitpunkt der Verkündung und finde es jetzt bei den Auswahlshows, dass er – spontan im Siegesrausch oder knallhart geplant – schon im Anschluss die Titelverteidigung Lenas verkündete. Aber das ist Schnee von Gestern.
Eigentlich wollte ich in diesem Jahr keine Kommentare zu dem Spektakel abgeben, aber nach der fast schon ausführlichen „Berichterstattung“ in 2010 habe ich mich doch zu einem zusammenfassenden Löffelchen Senf für 2011 entschlossen.
Lena Meyer-Landrut, ob man ihre Art und ihren (Gesangs-)Stil mag oder nicht, war frisch, unverbraucht und kindlich originell und der Erfolg hat ihr und Stefan Raab recht gegeben, allen Kritikern zum Trotz. Ein Jahr später ist davon leider nicht mehr viel übrig.
Erwartungsvoll habe ich tatsächlich am 31.01.2011 vor dem Fernseher zur Vorstellung der ersten sechs von zwölf(!) Songs gesessen, alle präsentiert von – richtig – Lena.
Um es vorweg zu nehmen, ich bin bei der ersten Show bis Lied Nummer fünf gekommen, dann hatte ich eine Überdosis Lena, die sich über die zweite Show am 7. Februar hinaus gehalten hat, so dass ich nicht eine Minute davon gesehen habe. Das hole ich jetzt nach, denn während ich diesen Artikel verfasse, läuft in der ARD das Finale. Ich freue mich schon auf die Ansage: „…und hier ist Lena mit <hier einen Songtitel einsetzen>!“ – Ja, wer auch sonst?
Die Jury ist ebenfalls besetzt mit den üblichen Verdächtigen. Der Graf, Stefanie Kloß, Anke Engelke, Joy Denalane und heute Barbara Schöneberger und Adel Tawil.
Die Songs – die ich bisher gehört habe – sind stilistisch vielseitig und auf Lena zugeschnitten, den Komponisten und Autoren kann man keinen Vorwurf machen. Leider kommen die Songs durch das Lena-Dauerfeuer wie abgespult rüber. Daran ändert auch der Klamottenwechsel zwischen den Auftritten nichts. Lena ist merklich routinierter geworden, aber jede Bewegung, jedes „-dai“ (day) wirkt einstudiert und, sorry Lena, fahrig, denn die Töne hast du auch schon mal besser getroffen. Was bei „Satellite“ für viele noch neu, originell und niedlich wirkte, wird in Serie zur Qual. Auch wenn die Jury pauschal jeden Song super toll findet. Müssen sie, sonst werden sie womöglich nicht mehr eingeladen.
Meine Favoriten, wenn man das so sagen kann, sind – wenn das hier online geht waren sie es – übrigens „Mama told me“ und in der Tat „Taken by a stranger“. Nur die rechte Spannung vor der Entscheidung will nicht aufkommen.
Sitzen die Songs jetzt alle im Greenroom und fiebern der Entscheidung entgegen?
Wird die zarte Ballade es nervlich verkraften oder die Soulnummer mit den Tränen kämpfen?
Letztlich hat „Taken by a Stranger“ die Wahl für sich entschieden, brav geknickst und bereitet sich nun auf Düsseldorf vor. Wir werden Lena mit ihm bis zum erbrechen auf allen Kanälen eingetrichtert bekommen, bis wir ihn richtig gut finden und vor Begeisterung das Album mit den 11 Zweitplatzierten kaufen. Meine Lena-Lösung ist gesättigt.
Ich glaube, worüber man sich im Klaren sein muss ist, dass der Bonus, den die damals achtzehnjährige Abiturientin aus Hannover im letzten Jahr noch hatte, ist verflogen, wenn nicht sogar verspielt, der Stil und die Art sind durch die Überdosis verbrannt. Zumindest für mich und vielleicht auch einen Teil des Deutschen Publikums – aber das entscheidet in Düsseldorf ja nicht. Darum wünsche ich Lena auch alles Gute. Gewinnen wird sie den ESC wohl kein zweites Mal.
Zumindest aber wird sie in die Musikgeschichte eingehen als die Sängerin mit der größten Promotion-Aktion für ein Album mit zwölf Songs, die es je gegeben hat.
Hut ab, Herr Raab.